
Agents of Change
Marzieh Nabi: Mein Ansporn: Meinen Vater zu retten
Marzieh Nabi hat das Trauma der Krebserkrankung ihres Vaters dazu genutzt, bahnbrechende Erkenntnisse über Komorbidität zu erarbeiten.
Die persönliche Mission einer Wissenschaftlerin beim Kampf gegen Komorbidität
Als Tochter eines Mathematiklehrers, aufgewachsen in einer iranischen Kleinstadt, interessierte sich Marzieh Nabi schon früh für die Lösung schwieriger Probleme. Als bei ihrem Vater ein Hirntumor diagnostiziert wurde, setzte sie ihren analytischen Verstand ein in der Hoffnung, eine Lösung zu finden, um sein Leben zu retten. Heute ist ihre kontinuierliche Arbeit in diesem Bereich außerordentlich vielversprechend. Sie wird durch ihre Forschungsarbeit bei PARC, einem Unternehmen von Xerox, ermöglicht.
„Schon als Kind habe ich gerne schwierige Probleme gelöst“, erzählt Marzieh Nabi. „Ich mag die Herausforderung, ein Rätsel zu studieren, und das befriedigende Gefühl, es zu lösen. Mein Vater war Mathematiklehrer. Das ist sein Einfluss.“
Marziehs Interesse an komplexen mathematischen Problemen veranlasste sie zunächst zum Studium von Luft- und Raumfahrttechnik. Doch schon bald nach Beginn ihres Studiums trieb ein einschneidendes Erlebnis ihre Karriere in eine ganz andere Richtung. Ihr Vater erlitt einen durch einen Hirntumor verursachten Anfall.
Die Krebsdiagnose ihres Vaters – im Alter von nur 40 Jahren – traf die junge Marzieh hart. Als sie aufwuchs, war er ihre Inspiration gewesen. Er ermutigte sie, fleißig zu lernen und sich an einer der besten Universitäten des Irans zu bewerben.
„Die ländliche iranische Gesellschaft tendiert dazu, Frauen von beruflichem Ehrgeiz abzubringen“, sagt sie, „aber ich wurde anders erzogen. Mein Vater sagte immer: 'Es spielt keine Rolle, ob du ein Mädchen oder ein Junge bist. Du musst dein Potenzial voll ausschöpfen'.“
Eine herausragende akademische Karriere
Als 128te von 500.000 Bewerbern sicherte Marzieh sich einen Studienplatz für Luft- und Raumfahrttechnik an der renommierten Scharif-Universität von Teheran. Dort wandte sie ihren analytischen Verstand an, um komplexe Systeme zu entwerfen, enorme Herausforderungen in kleinere Probleme zu zerlegen und Techniken zu entwickeln, um alles aufeinander abzustimmen.
Doch die Krankheit ihres Vaters belastete sie. Marzieh fragte sich, ob sie den eingeschlagenen Weg ändern, das Ingenieurstudium aufgeben und stattdessen zur medizinischen Fakultät wechseln sollte.
„Ich dachte, wenn ich Medizin studierte, könnte ich ihm besser helfen“, erklärt sie. „Aber dann entschied ich, dass es besser wäre, an dem festzuhalten, was ich tat, und zu versuchen, mir auf diesem Weg relevante Kenntnisse anzueignen.“
Marzieh entschied sich schließlich dafür, den Iran zu verlassen, um in Seattle in Luftfahrttechnik zu promovieren. „Der Umzug ins Ausland war eine wirklich schwierige Entscheidung. Es bedeutete, meine Mutter und meine Geschwister zu verlassen und ihnen die Pflege meines Vaters allein zu überlassen. Als ältestes Kind fühlte ich mich in der Verantwortung, mich um ihn zu kümmern. Aber mein Vater wollte, dass ich meinen PhD-Titel machte. Er ermutigte mich dazu, zu gehen.“
Ein emotionaler Abschied vom Iran
Der Abschied aus dem Iran wurde noch verschlimmert durch die Tatsache, dass Marziehs Vater nach einer zunächst positiven Prognose eine Reihe von Rückschlägen erlitt. Teilweise waren das die Nebenwirkungen der Krebsbehandlung – der „Giftmedizin“, wie Marzieh sie nennt. Doch es gab auch andere Komplikationen, die zunächst nichts mit dem Krebs zu tun hatten.
Einer dieser Faktoren war eine Kopfverletzung, die Goodarz (Marziehs Vater) bei einem Autounfall erlitten hatte. Es war nur eine leichte Verletzung, die aber einen durch die Strahlentherapie sehr empfindlich gewordenen Teil der Kopfhaut beschädigte. Das führte zu weiteren Operationen und erhöhte den Stress für das Herz ihres Vaters. Bald war er zusätzlich zum Krebs auch wegen einer Herzerkrankung in Behandlung. Und schließlich wurde bei ihm auch noch chronische lymphatische Leukämie, auch Altersleukämie genannt, festgestellt.

Komorbidität: Die gesundheitliche Herausforderung des 21. Jahrhunderts
Es gibt einen medizinischen Fachbegriff dafür: Komorbidität. Was Marzieh darüber lernte, änderte ihr Leben. „In Gesprächen mit den Ärzten meines Vaters entdeckte ich, dass wir nur wenig über Komorbidität und die richtige Behandlung von Patienten mit mehreren chronischen Erkrankungen wissen“, berichtet sie.
Dabei sind es keine Einzelfälle. Ein Viertel aller Erwachsenen in den Vereinigten Staaten leidet an mehreren chronischen Erkrankungen. Bei Menschen über 65 Jahre wächst dieser Anteil auf zwei Drittel. Schätzungen zufolge werden mehr als 70 Prozent der Gesundheitsausgaben in Höhe von zwei Billionen US-Dollar für Patienten mit Komorbidität ausgegeben.
Und mit zunehmendem Alter der Bevölkerung wird das Problem immer akuter. „Das Weiße Haus nennt es die gesundheitliche Herausforderung des 21. Jahrhunderts“, so Marzieh.
Systematisches Denken im Umgang mit chronische Krankheiten

Obwohl sich Marzieh damals auf Luftfahrttechnik konzentrierte, verstand sie Komorbidität – und damit die gesundheitliche Entwicklung Ihres Vaters – als ein komplexes Problem, das es zu lösen galt.
„Ich hatte mir Flugzeuge angesehen“, erklärt sie, „aber im Wesentlichen dreht sich bei meinem Studium alles um Systeme. Es geht darum, Systeme zu beobachten und herauszufinden, wie sie funktionieren, sie in mathematischen Modellen darzustellen, neue Systeme zu entwickeln und bestehende Systeme zu optimieren.“
„Der menschliche Körper, die Art und Weise, wie wir die Gesundheitsversorgung organisieren und finanzieren – auch das sind komplexe Systeme, in denen dasselbe Denken angewendet werden kann.“
Eine Zufallsentdeckung und ein Karrierewechsel
Als Marzieh von einem befreundeten Arzt von einer Datenbank mit allen medizinischen Daten von Personen mit Komorbidität erfuhr, war ihr schnell klar, dass dies von immenser Bedeutung sein könnte. Marziehs Bekannter schlug eine Analyse der Daten vor, um Einblick in das Auftreten der verschiedenen Krankheitsverläufe zu gewinnen und mehr über deren Wechselwirkung herauszufinden.
Der Zugang zu dieser Art von Daten war der Wendepunkt in Marziehs Laufbahn als Wissenschaftlerin. Endlich konnte sie ihr analytisches Denken einsetzen, um nicht nur ihrem Vater, sondern jedem mit mehreren chronischen Erkrankungen zu helfen.
Der Weg zu Xerox
Zunächst arbeitete sie in ihrer Freizeit an ihrem neuen „Projekt“. Sie durchkämmte die Daten nach bestimmten Mustern und suchte nach Zusammenhängen zwischen den Diagnosen, dem Alter, den Operationen, dem Geschlecht und der Lebensweise von Patienten sowie vielen anderen Variablen. Nach ihrer Doktorarbeit ergab sich die Möglichkeit, in Vollzeit an dem Problem zu arbeiten – als Forschungswissenschaftlerin bei PARC.
„Als ich mich um eine Stelle bei Xerox bewarb, ging es mir nicht speziell um dieses Thema“, berichtet sie. „Ich wollte einfach irgendwo arbeiten, wo ich meine wissenschaftlich Expertise in Projekte einbringen konnte, die tatsächlich etwas bewirken, anstatt in einem Elfenbeinturm zu sitzen.“ Sie setzte sich erfolgreich dafür ein, ihr Nebenprojekt zu einem Xerox-Forschungsprojekt zu machen, und so wurde ihre Freizeitbeschäftigung zum Beruf.
Durchbruch: Die Entdeckung eines riesigen neuen Datensatzes
Marziehs Arbeit gewann an Bedeutung, als sie erfuhr, dass die Xerox-Tochter Midas+, die Software für das Gesundheitswesen entwickelt, Zugang zu einem anonymisierten Datensatz von neun Millionen elektronischen Krankenakten hatte.
„Zusammen mit anderen Datenquellen hat dieser viel größere Datensatz das Potenzial, unser Verständnis von Komorbidität, wie sie auftritt und wie sie behandelt werden sollte – und wie nicht –, grundlegend zu ändern“, so Marzieh.
„In fünf oder zehn Jahren sollten wir ein viel besseres Verständnis dafür haben, wie sich Patienten mit mehreren chronischen Erkrankungen entwickeln werden, und wir werden in der Lage sein, ihre Medikamente entsprechend zu optimieren. Das sind Informationen, die mein Vater nicht hatte. Die Ärzte wussten nicht, wie man die Dosierung auf seine spezifischen Bedingungen abstimmen sollte, um die Nebenwirkungen zu minimieren.“
Medizin, so schrieb der Mediziner Atul Gawande einmal, ist eine „unvollkommene Wissenschaft“. Marzieh glaubt, dass sich mit höherer Rechenleistung und immer leistungsfähigeren Datenanalyseverfahren diese Unvollkommenheit des Systems beheben lässt.
„Im Fall meines Vaters haben wir persönlich beobachtet, wie viele Behandlungsweisen und Medikamente einfach nur ausprobiert wurden“, sagt sie. „Ich denke, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft in der Lage sein werden, die Erfahrungen aller Patienten und Ärzte auf der ganzen Welt zu kombinieren, um alle Daten zu verstehen und optimale Behandlungsentscheidungen zu treffen.“ Im Gegensatz dazu, sagt sie, „mühen wir uns heute mit der viel einfacheren Frage ab, wie sich das nächste Stadium einer Krankheit vorhersagen lassen könnte – insbesondere bei Komorbiditäten mit vielen verschiedenen Variablen“.
Ein weiteres Problem ist, wie langsam die Entdeckung im medizinischen Bereich voranschreitet. Marzieh verweist auf das folgende Beispiel: Das metabolische Syndrom steigert das Risiko von Herzerkrankungen, Schlaganfall und Diabetes und ist bei einem Drittel aller US-Amerikaner anzutreffen. Es dauerte mehr als 90 Jahre, bis erkannt wurde, dass das Syndrom durch eine Reihe von Erkrankungen verursacht wird – erhöhter Blutdruck, hoher Blutzucker, überschüssiges Körperfett um die Taille und anormale Cholesterinwerte. Mit diesem Wissen haben sich die Behandlungsmöglichkeiten verbessert.
„Neunzig Jahre sind eine lange Zeit“, seufzt Marzieh. „Der Prozess der medizinischen Forschung ist traditionell sehr langsam. Es beginnt typischerweise mit einigen wenigen Beobachtungen und vielen präklinischen und klinischen Studien an verschiedenen Patientengruppen. Heterogene Umgebungen, Unsicherheiten in den ursprünglichen Hypothesen, die Dauer und die anfallenden Kosten machen es zu einem sehr komplexen Prozess.“
„Aber das Versprechen großer Datenmengen wird das Tempo deutlich beschleunigen und ein neues Zeitalter der intelligenten Medizin einläuten, in dem Daten aus verschiedenen medizinischen Quellen integriert werden.“

Selbst neun Millionen Datensätze enthalten nicht alle Antworten.
Marziehs Projekt könnte Millionen von Menschen helfen, den Beginn mehrerer chronischer Erkrankungen zu bewältigen und zu überleben. Sie warnt jedoch, dass es noch ein langer Weg ist und dass selbst ein Datensatz von neun Millionen Datensätzen schwerwiegende Einschränkungen hat. So umfasst die Datenbank beispielsweise nur Daten aus den USA, sodass Marzieh vorsichtig sein muss, wenn sie daraus Schlüsse ziehen möchte.
„Die geographische Beschränkung ist nur ein Punkt. Wir müssen uns immer vor Augen führen, welche Angaben fehlen. Es handelt sich immerhin lediglich um kodifizierte Angaben einzelner Ärzte“, erklärt sie.
Daher gibt es viel Potenzial für Verzerrungen und störende Details – von unterschiedlichen Kodierungspraktiken in verschiedenen Krankenhäusern bis hin zu unterschiedlichen Gewohnheiten bei Patienten mit oder ohne Versicherung und sogar unterschiedlichen Leistungsstandards bei den Ärzten.
„Dennoch können wir viel darüber lernen, was den Patienten widerfährt und wie verschiedene Krankheitsbilder und Behandlungen in ihrem Körper zusammenwirken. Und daraus können wir Schritte ableiten, um zu verstehen, wie wir die Behandlung am besten auf die individuellen Gegebenheiten der Patienten zuschneiden können.“
Eine vielversprechende Anwendung von künstlicher Intelligenz, maschinellem Lernen und Systemwissenschaft in der Medizin ist der Einsatz so genannter „Inferenzstatistiken“, die zu besseren Richtlinien für eine bessere klinische Entscheidungsfindung führen.
„Richtlinien spielen in der heutigen Medizin eine große Rolle“, erklärt sie.
Eine neue Herausforderung: Ärzte davon zu überzeugen, Algorithmen zu vertrauen
Eine der Herausforderungen in dieser aufkommenden Disziplin ist es, Mediziner vom Potenzial der Daten zu überzeugen und dazu zu bringen, Algorithmen genauso zu vertrauen wie ihren eigenen Augen.
„Ärzte haben ihr eigenes Weltbild, und Mathematiker und Systemwissenschaftler haben ein anderes“, gibt Marzieh zu. „Eine Brücke zwischen den beiden Gruppen zu bauen, ist definitiv eine Herausforderung, der man sich stellen muss.“

Eine datengetriebene Zukunft für das Gesundheitswesen
Längerfristig hofft Marzieh, dass die datengesteuerte Analyse zu einem integralen Bestandteil der medizinischen Ausbildung und Arzneimittelentwicklung wird. „Wir kratzen erst an der Oberfläche von Big Data im Gesundheitswesen. Die Datensätze werden weiter wachsen und das gibt uns immer bessere Kenntnisse über den kausalen Zusammenhang zwischen Krankheiten. In 15 bis 20 Jahren wird es nicht mehr so lange dauern, bis wir neue Erkenntnisse in der Medizin gewinnen oder neue Behandlungsmethoden entwickeln.“
Leider kommen diese Durchbrüche für Marziehs Vater zu spät. Goodarz starb 2014 an Komplikationen durch Hirnkrebs. Aber seine ständige Ermutigung und Unterstützung spornt seine Tochter auch heute noch an. „Es ist manchmal sehr schwierig, diese Arbeit zu machen, weil sie mich ständig an meinen Vater erinnert“, sagt sie. „Aber letztendlich ist es das, was mich motiviert, weiterzumachen.“

Wir alle haben die Welt verändert. Jeder einzelne von uns. Mit jedem Atemzug zieht unsere Existenz endlose Kreise.
Aber nur wenige von uns haben die Möglichkeit, das Leben von vielen zum Besseren zu verändern. Und noch weniger werden jeden Tag dazu herausgefordert, dies zu tun. Von dieser Herausforderung werden die Wissenschaftler bei Xerox tagtäglich angetrieben – zu versuchen, Veränderungen herbeizuführen.
Und wir geben ihnen die Zeit und den Freiraum, um zu träumen. Und die Ressourcen, um diese Träume Wirklichkeit werden zu lassen – unabhängig davon, ob sie neue Materialien mit unglaublichen Funktionen entwickeln oder Augmented Reality nutzen, um das Erinnerungsvermögen von Alzheimer-Patienten zu stärken.
Xerox ist stolz auf seine „Agents of Change“ in seinen weltweiten Forschungszentren. Hier sind einige ihrer Geschichten.
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